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"Wir kriegen dich. In der Stadt, auf dem Land oder in deinem Haus. Und niemand wird dich schützen." Diese Zeilen stammen aus einem anonymen Drohbrief, den Martin Klußmeier [SPD] im Februar in seinem Briefkasten fand. Klußmeier war Ortsvorsteher in Drehenthalerhof, der einzige Ortsbezirk der pfälzischen Kleinstadt Otterberg. Rund 400 Menschen leben dort. Bereits im Januar wurde Klußmeier mit Pfefferspray attackiert, kurz danach dann der Drohbrief. Der Ortsvorsteher zog Konsequenzen und trat zurück.
Ein Beispiel von vielen, wie der Blick in eine aktuelle Studie zeigt, die unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und dem Deutschen Städtetag entstand. Darin wurden die Antworten von rund 1.500 Amtsträgerinnen und Amtsträgern aus ganz Deutschland ausgewertet, in welchem Ausmaß sie mit Hass, Hetze und Gewalt konfrontiert sind.
Demnach hat fast die Hälfte der Befragten in den sechs Monaten vor der Befragung Anfeindungen gegenüber der eigenen Person erlebt. Mehr als jeder oder jede zehnte Betroffene hat laut Studie darüber nachgedacht, das Amt niederzulegen oder nicht erneut zu kandidieren.
Kann ich so bestätigen. Bin zwar kein Amtsträger, aber lokalpolitisch ein bisschen aktiv. Von Drohbriefen über geworfene Steine bis hin zu Gewalt ist in manchen Orten alles dabei. Angriffe auf SPD sind bei uns aber seltener geworden, weil sich die Täter inzwischen auf die Grünen konzentrieren.
"Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, was da alles mit dazugehört", erzählt Lena Weber (SPD), Stadtbürgermeisterin in Hermeskeil, im Interview mit dem SWR. Gegen die vielen Anfeidungen habe sie sich inzwischen ein "Teflon-Cape" zugelegt, "wo das ein oder andere mittlerweile ganz charmant abperlt". Weber wurde 2019 mit nur 28 Jahren zur neuen Bürgermeisterin der 7.000-Einwohner-Stadt im Hunsrück gewählt.
Sie berichtet von platten Reifen, einer eingeworfenen Scheibe oder abgebrochenen Scheibenwischern an ihrem Auto.
Auch Hasskommentare im Internet gehören zum Alltag. "Irgendwann ist es dann auch was Normales, was man dann irgendwie annimmt." Anfangs habe sie noch die Polizei gerufen, aber mit der Zeit sei das nur noch müßig gewesen. Es hätte sich am Ende doch kein Täter gefunden.
Machtlosigkeit und einsetzender Gewohnheitseffekt - auch das scheint Alltag zu sein in den Rathäusern und Landratsämtern.
Jup. Hier geht inzwischen auch kaum mehr jemand wegen einem platten Reifen zur Polizei. Üblicherweise geht man direkt zum Vergeltungsschlag gegen die mutmaßlichen Täter über.
Die Studie zu Anfeindungen gegenüber Politikerinnen und Politikern stellt fest, dass nur etwa 15 Prozent solcher Vorfälle zur Anzeige gebracht wurden. Dabei handelt es sich bei körperlichen Angriffen, Androhungen von Gewalt oder Hass und Hetze im Internet um Straftaten. Der Deutsche Städtetag appelliert daher an alle Betroffene, solche Übergriffe auch anzuzeigen, weil es sonst nicht möglich sei, dagegen vorzugehen.
Die Studie: https://www.staedtetag.de/files/dst/docs/Presse/2022/KoMo-Bericht-Motra-2022.pdf
Paar Auszüge: -46% der Befragten haben Anfeindungen erlebt
-davon: 96% Beleidigungen, Bedrohungen, 4% Angriffe auf Politiker oder Besitz von Politikern
-60% der Befragten nutzen Social-media für Politik
-81% geben an „psychische Folgen“ durch die Anfeindungen zu haben
-Anfeindungen Ost: 51%, West: 43%
-Anfeindungen in Städten: 52%, in ländlichen: 43%
-Hauptamtliche 57% Anfeindungen, Ehrenamtliche 33%
-Frauen und Männer gleich betroffen
-über 10% der Betroffenen dachten über Amtsniederlegung nach
"Unser Gemeinwohl ist gefährdet, wenn sich Menschen nicht mehr für die Stadt oder Gemeinde engagieren wollen", fürchtet Markus Lewe (CDU) um zukünftiges Engagement für ein politisches Amt. Lewe ist Präsident des Deutschen Städtetags und Oberbürgermeister der Stadt Münster. "Kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger müssen ihr Amt ohne Angst ausüben können", fordert Lewe.
Denn Kommunalpolitikerinnen und -politiker seien für die Demokratie unverzichtbar, erklärte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD). "Sie sind fast überall, vor allem da, wo man sie braucht. Das, was ihre Arbeit so wertvoll macht - die Bürgernähe - genau das begründet auch ihre Verwundbarkeit", so Steinmeier.
Einer der fast 40.000 Menschen, die sich in Rheinland-Pfalz in der Kommunalpolitik engagieren, ist Gerd Klasen (CDU), seit 2014 Bürgermeister der Stadt Polch im Landkreis Mayen-Koblenz. Klasen gehört jedoch auch zu den 15 Prozent aus der Studie, die die Anfeindungen gegen seine Person direkt zur Anzeige gebracht haben.
Klasen erhielt anonyme Drohbriefe an seine Privatadresse. "Wenn Sie in der Politik unterwegs sind, haben Sie nicht nur Freunde", weiß der Stadtbürgermeister um die Schattenseiten seines Amts. Kritik an seiner Tätigkeit als Bürgermeister sei auch vollkommen in Ordnung, aber "diese persönliche Schiene, das hat mich hart getroffen".
Fühle ich. Besonders übel ist es, wenn die persönliche Details, wie die Namen von Geschwistern erwähnen.
Klasen leitet die Drohbriefe direkt an die Kriminalpolizei weiter, dokumentiert alles, was mit den anonymen Anfeindungen zu tun hat. Jedoch vergeblich: Die Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen irgendwann ein, weil es keine konkrete Spur zum Absender gibt. "Angst hatte ich nie, zu keinem Zeitpunkt. Man will keine Angst haben", gibt Klasen Einblicke in sein Seelenleben. Beeindruckt und beeinflusst habe ihn die Sache aber schon. "Man sieht Gespenster, wo keine sind", beobachtet Klasen an sich selbst, dass er sich in der Öffentlichkeit anders verhält, dünnhäutiger wird. "Das ist schade, aber nur menschlich", findet er.
Lange wollte er damit nicht an die Öffentlichkeit gehen. Er hat es sich anders überlegt. Warum? "Ich möchte versuchen, mehr Menschen für dieses Ehrenamt zu gewinnen und möchte vermeiden, dass sie sich davon abbringen lassen, weil sie befürchten, angefeindet zu werden", so Klasen. "Diese Dinge haben mich nicht dazu gebracht, es nicht mehr zu tun." Der Polcher Stadtbürgermeister macht deutlich, wie wichtig Kommunalpolitik für eine lebendige Demokratie ist: "Leute, wir brauchen euch, wir brauchen dieses Ehrenamt!"
Inzwischen gibt es einige Anlaufstellen für Betroffene, auch in Rheinland-Pfalz. Das Landeskriminalamt (LKA) hat infolge der steigenden Zahl an Vorfällen sogar eine eigene Broschüre zu der Thematik veröffentlicht, in der es "Verhaltensempfehlungen" zur Sicherheit von Amts- und Mandatsträgern gibt. Einige davon lesen sich für Außenstehende beklemmend: "Halten Sie sich bei Bahnreisen nach Möglichkeit in belebten Abteilen auf", heißt es an einer Stelle. Unter dem Punkt "Sicherheit am Arbeitsplatz" rät das LKA, auf Familienfotos am Schreibtisch zu verzichten. Auch Scheren, Locher oder Tacker sollten in der Schublade aufbewahrt werden, da sie als Waffe verwendet werden könnten.
ok. Das ist krass.
Der rheinland-pfälzische Landtag hatte Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker am Mittwoch zur Diskussion auf das Hambacher Schloss eingeladen. In der symbolträchtigen "Wiege der deutschen Demokratie" haben sich Betroffene wie Gerd Klasen und Lena Weber zu ihren Erfahrungen mit Übergriffen ausgetauscht. "Es hat sich massiv etwas verändert", stellte Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) im Rahmen der Veranstaltung fest.
Der Respekt gegenüber Kommunalpolitikerinnen und -politikern habe abgenommen, obwohl deren Aufgaben laut Hering immer schwieriger werden. "Jeder Angriff gegen Kommunalpolitiker ist ein Angriff gegen uns alle, denn sie repräsentieren uns in den Kommunen", so Hering. Es gelte, die Demokratie zu verteidigen, da sie die Grundlage einer freien und offenen Gesellschaft sei.
Gemeinsam sollen nun Strategien erarbeitet werden, um mit den Anfeindungen in Zukunft noch besser umgehen zu können. Das ist leider auch notwendig, damit junge, politisch motivierte Menschen nicht Angst um ihr Leben oder das ihrer Familie haben müssen, wenn sie vielleicht nicht die Welt, aber zumindest ihre Heimat zu einem besseren Ort machen wollen.