Die Union hat die Wahlen in Bayern und Hessen gewonnen. Warum sie trotzdem in der Krise steckt, erklärt der Soziologe Armin Nassehi
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Die CSU eiferte rhetorisch den Rechtspopulisten nach, die CDU in Hessen nicht.
Man kann, darauf hat der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher hingewiesen, ein Muster erkennen. Wo die Mitterechtsparteien denken, die eindeutig rechten Parteien rechts überholen zu sollen, verlieren sie. Offenbar stellt die Union in Deutschland das nicht in Rechnung. Sie wird getäuscht von den eigenen Wahlergebnissen und sieht nicht, dass die rechten die unzufriedenen Nichtwähler abgreifen.
Friedrich Merz hat dies offenbar nicht auf dem Zettel – etwa mit Bemerkungen zu „Kleinen Paschas“ nach der Silvesternacht in Berlin-Neukölln oder aktuell mit der Äußerung zu Zahnersatzleistungen für Flüchtlinge.
Es ließen sich viele Dinge über die Person Friedrich Merz' erklären, der scheint manchmal seine Impulskontrolle nicht im Griff zu haben. Dabei würde eine konservative Perspektive auf die Aufregerthemen diese mit einem Kontinuitätsversprechen versehen. Wo das fehlt, gibt es ein Problem.
Warum?
Weil eine Demokratie wie die unsere die Perspektive einer Mitterechtspartei braucht. Sie hatte einmal die Fähigkeit, die Unzufriedenheit mit dem sozialen Wandel, die Furcht vor schneller Veränderung, aber auch die Herausforderung von Pluralität nicht nur abzumildern, sondern auch zu moderieren. Das darf man nicht unterschätzen. Vielleicht haben dabei die Konservativen die viel dramatischeren Lernprozesse gemacht.
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Verblüffend, dass die Union überhaupt Zukunftsprogramme braucht, oder?
Hier sind wir im Zentrum dessen, was das Konservative von anderen Formen unterscheidet, von linken wie von rechten. Die Union brauchte früher nie eine explizite Programmatik, sie war als Regierungspartei, als die sie sich verstand, die pure Inklusion. Es ist ja gerade das Besondere des Konservativen, auf Begründungsprobleme verzichten zu wollen, um mit Kontinuitätsunterstellungen arbeiten zu können. Die Konservativen müssen nach ihrem Selbstverständnis nichts gegen irgend jemanden durchsetzen, weil sie quasi die Kontinuität der Welt verkörpern.
Bitte erläutern Sie!
Linke haben immer einen konkreten Gegner, nämlich die, die nichts begründen. Deshalb müssen sie alles zu begründen versuchen. Die Linke denkt ja immer von sich selbst, dass sie eigentlich opponieren muss, selbst in der Regierung, obwohl vieles längst Allgemeingut ist. Konservative, besser: Mitte-Rechts-Parteien können deshalb leichter mit abweichenden Meinungen in den eigenen Reihen umgehen, schon weil die Linie nicht so eng begründet ist – anders als bei Linken, die immer alles begründen, weil sie etwas wollen, was noch nicht da ist und deshalb Abweichungen schwer ertragen. Wohlgemerkt, wir reden hier verkürzend idealtypisch.
Und Söder und sein populistischer Wahlkampf?
Der geht in die Bierzelte und opponiert gegen Themen, die es gar nicht gibt. Er erfindet eine Oppositionshaltung, die keinen Anschluss an die Wirklichkeit hat. Er sagte, wir sind gegen Fleischverbote und gegen das Gendern. Kein Mensch hat Verbote gefordert und war für gendersprachliche Pflichten. Es ist auch eine Denkfaulheit, eigene Konzepte positiv zu bestimmen.
Seine Partei stagnierte, so sagt es das Wahlergebnis. Friedrich Merz kaprizierte sich sogar auf die Grünen als Hauptgegner.
Eine große Ehre für die Grünen, einerseits. Andererseits ist es ein Zeichen, wie bedrohlich der Veränderungsdruck gerade für eine konservative Partei sein muss. Wenn die Diagnose stimmt, dass das konservative Bezugsproblem vor expliziten Begründungen zurückweicht, dann ist Transformationsdruck natürlich das Schlimmste. Es muss dann schlicht alles auf den Prüfstand, die Fragilität der funktionierenden Praxis wird sichtbar. Und die Grünen sind dafür das sichtbare Symbol. Und das hat gar nichts mit grüner Politik zu tun oder ihrer Bewertung, aber „Grün“ markiert diese Herausforderung. Der Union reichte jahrzehntelang, dass eine gut funktionierende Gesellschaft eine ist, bei der die Leute einigermaßen gut versorgt sind, man miteinander auskommt und sich nicht dauernd nervt.
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Was wissen die heutigen Konservative nicht mehr?
Dass von Wärmepumpen die Welt nicht untergeht – ich war gerade in Kanada und habe sie dort zuhauf gesehen. Und dass eine Mitterechtspartei moderieren muss, zuspitzen bestimmt auch, aber sich nicht den Sprechformen etwa der AfD anschließt, niemals.
Also Ruhe und Ordnung bewahren?
Zur Bürgerlichkeit gehört jedenfalls nicht dieses Eifernde. Zu ihr gehört, wie gesagt, das Privileg, in Ruhe gelassen zu werden. Vielleicht ist ein Pluralismus, der nicht permanent kommunikativ eingeholt und begleitet werden muss, viel attraktiver.
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Wobei es einen ökonomischen Rahmen braucht, um sich die Ruhe leisten zu können.
Die ökonomischen Folgen für Privathaushalte verdienen ohnehin viel mehr Beachtung. All das wären die Themen, an die Konservative ansetzen könnten, statt sich in einen Kulturkampf zu begeben. Der soziale Rahmen muss stimmen, gerade für Zukunftsperspektiven.
Und die Grünen?
Naja, einerseits stehen die Grünen für die Drastik des Veränderungsdrucks, andererseits gilt auch für einen großen Teil der eigenen Klientel, dass sie konservativ funktioniert, man hat langfristige Kredite, Berufe, in denen man Karriere machen will, sie haben Kinder. Das verschärft die Differenz zwischen verbalen Bekenntnissen und alltagsrelevanter Umsetzbarkeit.
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Reden wir über Gillamoos, über Kreuzberg: CDU-Parteichef Friedrich Merz glaubt, nur der bayerische Rummel in Bierzelten sei Deutschland. Das hätte Angela Merkel nie gesagt, auch Helmut Kohl nicht.
Ein souveräner Konservativer hätte gesagt: Gillamoos und Kreuzberg sind sehr unterschiedlich, aber es stellen sich sehr ähnliche Fragen: wie in eine volatile Welt Kontinuität eingebaut werden kann und wie man mit den Problemmilieus, die in beiden Orten vorkommen, angemessen umgeht. So könnte übrigens Unterschiedlichkeit auf eine gemeinsame Basis gestellt werden. Aber Merz ging es um das Gegenteil.
Und weshalb macht der CDU-Chef das?
Weil er ganz offensichtlich kein Konzept für einen modernen Konservatismus hat. Er wollte wohl die Furcht vor dem Unbekannten bedienen. Vielleicht muss man wirklich ernster nehmen, dass die Herausforderung unserer Zeit die Frage der Kontinuität ist, der Herstellung von kalkulierbaren Lebenswelten. Das wäre die Hauptaufgabe von Konservativen, nicht Kulturkampfsimulation. Der Soziologe Max Weber hat einmal von „dumpfer Gewohnheit“ gesprochen. Das Alltagsleben ist von Kontinuität, von Wiederholung, von Trägheit, von Routinen geprägt, und das erzeugt auch Zufriedenheit. Er lebt davon, dass wir nicht alles permanent befragen, dass wir uns an unsere Stereotype gewöhnen. In den räsonnierenden Klassen…
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Diese Sicherheiten scheint die hessische CDU zu verkörpern.
Ohne sich rhetorisch an die AfD anzulehnen oder deren Sprechweisen zu kopieren, so geht das Konservative. Der Zufluss zur AfD dort kam zu gleichen Teilen aus der CDU wie aus SPD und Grünen – anders als in Bayern. Konservativen würde ich immer gerne zurufen, dass das größte Wählerpotential der AfD die Nichtwähler sind, fast 80.000 in Hessen, 130.000 in Bayern. Die wechseln gewissermaßen von der Indifferenz zu den Rechtsradikalen, ein Zeichen für wachsende Unsicherheit.
Ein interessantes Interview, wie ich finde. Und das nicht kleine Teile der grünen Klientel in vielen Bereichen durchaus konservativ sind deckt sich auch mit meinen, zugegebenermaßen nicht repräsentativen, Beobachtungen. Das Merz politisch/ideologisch völlig nackt ist, sieht wohl mittlerweile auch jeder.
Konservativusmus ist ja auch erstmal nichts schlechtes. Umweltschutz und Klimaschutz ist inhärent konservativ.
Flüchtlinge im Mittelmeer absaufen lassen.. Faschismus trifft es wohl eher als conservare